Texte und Quellen

Inhalt

Editorial

In den letzten 100 Jahren wurde das Verkehrssystem in Deutschland – wie fast auf der ganzen Welt – vollständig auf das Auto als zentrales Verkehrsmittel ausgerichtet. Überall im Land wurden Straßen, Parkplätze und Autobahnen gebaut, um „freien Bürgern freie Fahrt“ zu gewährleisten. Die Autoindustrie wurde zum wirtschaftlich mächtigsten Industriezweig und verkaufte das Auto erfolgreich als Symbol von Fortschritt, Unabhängigkeit und Freiheit. Das private Auto wird auch heute noch politisch privilegiert: Es ist nicht nur steuerlich begünstigt, es bekommt auch in der Straßenverkehrsordnung Vorrang und in der Stadtplanung und im Baurecht eigene Plätze zugewiesen. Die Folgekosten durch Umwelt- oder Gesundheitsschäden tragen wir alle, vor allem aber auch Menschen im Globalen Süden und alle kommenden Generationen.

Heute sind wir vom Auto abhängig geworden und vielerorts ist man ohne die eigenen vier Räder gar nicht mehr oder viel schlechter mobil. Die Städte und Autobahnen sind verstopft und unsere Luft wird durch Feinstaub und Stickoxid belastet. Wir heizen mit der Verbrennung von Diesel und Benzin die Klimakrise an und haben es seit Jahrzehnten trotz technischer Innovationen nicht geschafft, die Emissionen im Verkehrssektor zu senken – denn die Autos werden nicht nur größer und schwerer, wir legen auch immer längere Strecken zurück. Heute fahren immer mehr Autos auf unseren Straßen. denn die Verkehrsentwicklung kennt seit Beginn der Motorisierung nur die Kurve nach oben. In unseren Städten geben wir dem stehenden und fließenden Autoverkehr mehr Raum als Spielplätzen oder Grünflächen und es sterben jedes Jahr immer noch mehr als 3000 Menschen im Straßenverkehr – jeder Tod ein unnötiger.

Doch damit könnte bald endlich Schluss sein! Denn überall regt sich Protest gegen Straßenbau, gegen massive Luft- und Lärmverschmutzung, gegen die Klimakrise, den SUV-Größenwahnsinn und gegen die Autokultur in unseren Köpfen. Viele Menschen wollen lieber auf Alternativen umsteigen und fordern gut ausgebauten Nahverkehr mit bezahlbaren oder kostenfreien Tickets, gute und sichere Fuß- und Radwege und lebenswerte Städte mit Raum für Menschen statt für Autos. Die Menschen wehren sich vor Ort in Bürger*inneninitiativen oder mit Waldbesetzungen gegen den wuchernden Straßenbau. Sie zeigen mit kreativen Aktionen, Fahrraddemos, Petitionen, Volksentscheiden und Aktionen zivilen Ungehorsams wie es anders gehen kann und fordern mehr Platz für Bahn-, Rad- und Fußverkehr.

Diesem vielfältigen und bunten Widerstand gegen die mächtige Autokultur wollen wir mit dieser Karte noch mehr Sichtbarkeit verschaffen – denn überall im Land wollen Menschen anders unterwegs sein und kämpfen für bessere Mobilität und eine lebenswerte Umwelt für alle. Aus Gründen der Übersichtlichkeit stellen wir aber nur einen kleinen Teil der Neu- und Ausbauprojekte und des Widerstands dagegen dar und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Aber der Widerstand soll ja auch noch wachsen – sei auch Du Teil dieser Bewegung für eine Verkehrs- und Mobilitätswende mit mehr Lebensqualität und weniger Abgasen, Asphalt und Autos!

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Schöne neue grüne Welt?
Die Scheinlösung der E-Autos

Wenn Autokonzerne oder das Verkehrsministerium von einer „Verkehrswende“ sprechen, meinen sie meist nur die Antriebswende bei Autos, v.a. die Umstellung auf Elektroantriebe. Dabei sind E-Autos nur eine Scheinlösung. Sie sind lokal zwar emissionsfrei, aber der Strom kommt in Deutschland noch zu ca. 40 Prozent aus dreckigem Kohlestrom. Außerdem sind die vermeintlich grünen Karossen sehr ressourcenintensiv (z.B. Lithium oder Kobalt) und verbrauchen sehr viel CO2 bei der Herstellung. Mit Erneuerbarem Strom betrieben sind E-Autos für die Mobilitätswende zwar notwendig, können die bestehenden Autos aber keinesfalls eins zu eins ersetzen. Auch E-Autos brauchen viel Platz auf den Straßen und gefährden Menschenleben. Der aktuelle Trend zu immer größeren und schwereren Autos wird ebenfalls fortgesetzt – und weil die Menschen meinen, sie seien nun umweltfreundlicher unterwegs, fahren sie häufig mehr (auch„Rebound-Effekt“ genannt). Letztlich wir durch den einfachen Antriebstausch die autozentrierte Kultur erneuert statt Fuß-, Rad- und öffentlichem Verkehr Vorrang einzuräumen und eine echte Verkehrswende einzuleiten.

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Mobilitätsgerechtigkeit

Mobilität bedeutet neben Fortbewegung auch soziale Teilhabe und Daseinsvorsorge. Die Zugänge zu Mobilität sind aber je nach Position im gesellschaftlichen Machtgefüge (Einkommen, Gender, Alter, körperliche Voraussetzungen, Rassifizierung, Wohnort, usw.) sehr unterschiedlich verteilt. Eine sozial-ökologische Mobilitätswende ist also auch ein Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit. Das Auto als das dominanteste Verkehrsmittel sorgt nämlich nicht dafür, dass alle mobil sind – im Gegenteil, es verdrängt die Alternativen und bevorzugt Menschen mit Auto massiv. Dabei hat etwa die Hälfte der einkommensschwachen Haushalte überhaupt kein eigenes Auto (s. Grafik).

Grafik Haushalte mit und ohne Auto
Anzahl der Autos pro Haushalt
nach ökonomischen Status

An vielen Orten, insbesondere im ländlichen Raum bedeutet das, dass Haushalte ohne eigenes Auto in ihrer Mobilität stark eingeschränkt sind. Hier fehlt es an guten Radwegen, naher sozialer Infrastruktur oder einem zuverlässigen und günstigem ÖPNV. Die aktuelle Verkehrsplanung privilegiert meist Berufspendler*innen, während sie z.B. die komplexeren Mobilitätsbedürfnisse von Sorgearbeitenden, Menschen mit Behinderungen, Kindern oder älteren Menschen systematisch ausblendet. Für eine gerechte Mobilität braucht es daher den Ausbau von umweltfreundlichen, öffentlich geförderten und für alle zugänglichen Verkehrsmitteln, aber vor allem auch eine viel breitere gesellschaftliche Partizipation an Mobilitäts- und Verkehrsplanungsprozessen.

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Bundesverkehrswegeplan =
Straßenbaumaximalplan

Der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) regelt den Erhalt, den Ausbau und den Neubau von Fernstraßen, Schienen und Wasserwegen für einen Zeitraum von ca. 15 Jahren. Obwohl Deutschland mit 13.141 km Länge eines der dichtesten Autobahnnetze Europas hat, sieht der aktuelle BVWP immer noch 1.360 Fernstraßenbauprojekte vor, davon 213 Autobahnprojekte mit einer Gesamtlänge von 4.354 km. Der BVWP hat ein Volumen von insgesamt 270 Milliarden Euro, wovon die Hälfte in Straßenbauprojekte fließt.

Die Erstellung des Bundesverkehrswegeplans erfolgt nach undurchsichtigen und für Laien unverständlichen Kriterien mit kruden Berechnungsmethoden. Der vermeintliche „Bedarf“ an Straßen wird über Verkehrsprognosen berechnet, welche auf dem BIP und der Annahme eines stetigen Verkehrswachstums basieren. Laut der Berechnungsmethode bringt jede getätigte Strecke erst mal einen wirtschaftlichen Mehrwert und selbst kleinste Verkürzungen durch neue Straßen werden klimapositiv gerechnet. Dabei erhalten vor allem die Bundesländer die meisten Zuschläge für Straßenbauprojekte, die viele und teure Projekte anmelden. Allein Bayern erhält z.B. 12 Milliarden für den Aus- und Neubau von Fernstraßen. Während die Länder und Straßenbaufirmen großen Einfluss auf die Erstellung des BVWP haben, sind Beteiligungsrechte, Einspruchs- und Widerspruchsmöglichkeiten von Bürger*innenseite zu den Straßenbauprojekten fast unmöglich, selbst wenn sie nachweislich umweltschädlich oder wenig wirtschaftlich sind. Umweltverträglichkeitsprüfungen finden nur selten und wenn, dann oft unzureichend statt.

Der Bundesverkehrswegeplan dient daher vor allem dazu, möglichst viele Straßen neu- und auszubauen. Hier werden Verkehrsmittel nicht gleichberechtigt behandelt, es gibt keine verkehrsübergreifende Gesamtstrategie, die Rücksicht auf die Klimaziele nimmt oder Erkenntnisse der integrierten Verkehrswissenschaft beachtet. Der Bundesverkehrswegeplan gehört daher abgeschafft und alle Straßenbauprojekte sollten daher gestoppt werden.

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Begriffsklärungen

Induzierter Verkehr
„Wer Straßen sät, wird Autoverkehr ernten!“ schallt es landauf, landab bei Fahrrad-Demos. Ein neues Straßen-Angebot führt zu neuer Autoverkehrs-Nachfrage, weil bestimmte Orte einfacher per Auto zu erreichen sind. Dies wird als induzierter Verkehr bezeichnet. Alternative Verkehrsmittel wie die Bahn verlieren weiter im Wettbewerb mit der Straße.

Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten!
„Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten!“

Ortsumfahrungen sind die Mehrzahl der Bundesstraßen-Projekte, davon gibt es 400 im BVWP. Die damit einhergehenden Versprechungen der Entlastung von Lärm und Abgasen treten aber nur selten ein. Bei fast 60 Prozent der Ortsumfahrungen war die Entlastungswirkung „nicht nennenswert“ oder „gering“, nur bei 5 Prozent „sehr hoch“ oder „herausragend“ (Analyse des BVWP 2003). Sie wirken nicht, weil zu viel Verkehr im Ort entsteht oder verbleibt – je weiter die Umfahrung vom Ort entfernt ist, desto mehr. Liegt die Umfahrung aber nah, sind wieder neue Anwohner*innen durch Lärm und Abgase betroffen. Eine Verkehrsberuhigung der Ortsdurchfahrt wäre nötig, erfolgt aber fast nie. Nicht selten ergeben mehrere Ortsumfahrungen hintereinander eine autobahnähnliche Schnellstraße, die wieder zu mehr Autofahrten führt – ein Teufelskreis.

Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) für den Neu- und Ausbau, Erhalt und Betrieb von Autobahnen und neuerdings auch Bundesstraßen werden von der Bundesregierung stark vorangetrieben. Mittlerweile gibt es 16 Projekte dieser temporären Privatisierungen mit Laufzeiten von zumeist 30 Jahren und einem Etat von über 20 Mrd. Euro; diese bedeuten Konzessionszahlungen bis ins Jahr 2050. In Thüringen werden z.B. bereits fast ein Fünftel der Autobahn-Kilometer privat betrieben. Trotz vereinbarter Festpreise erhalten die privaten Betreiber Nachzahlungen in Höhe von hunderten Millionen Euro – zulasten der Staatskasse.

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Macht mit!
Die Mobilitätswende anschieben:

Lokale und überregionale Mobilitätswende-Initiativen:

An vielen Orten gibt es teilweise schon seit der Alternativbewegung der 1980er Jahre Bürger*inneninitiativen gegen neue Autobahnen, für mehr Radverkehr und die Mobilitätswende. Ihr jahrzehntelanger Kampf hat viele Landschaften vor noch mehr Asphalt bewahrt und den Grundstein für ein verkehrspolitisches Umdenken in der Gesellschaft gelegt.

Bürger*inneninitiativen vernetzen sich zunehmend mit jungen Klimaaktivist*innen vor Ort, z.B. im Bündnis Moor bleibt Moor gegen die A20 und überregional etwa zu den #MobilitätswendeJetzt! Aktionstagen. wald-statt-asphalt.net/mobilitaetswendejetzt

Möglichkeiten zum Mitmachen bieten auch Klimagruppen oder z.B. die Ortsgruppen von Fridays for Future, Ende Gelände, dem BUND oder Attac. Auch bei ROBIN WOOD könnt ihr für die Mobilitätswende aktiv werden: robinwood.de/aktivwerden. Weitere Anregungen selbst aktiv zu werden finden sich auch unter endlich-verkehrswende.de.

An vielen Orten werden Radentscheide initiiert, um die Politik zu verpflichten den Radverkehr zu fördern. bundesrad.org; changing-cities.org. Mehr Platz fürs Rad fordert auch die #kidicalmass: kinderaufsrad.org.

In Berlin ist zudem der Volksentscheid Berlin autofrei gestartet, mit dem Ziel, den Autoverkehr in der Hauptstadt deutlich zu reduzieren: volksentscheid-berlin-autofrei.de

Waldbesetzungen:

Waldbesetzungen verbinden den Widerstand gegen ein umweltschädliches (Verkehrs)projekt mit der Schaffung von Freiräumen für alternative Lebensentwürfe. „Wald statt Asphalt“ war ein zentrales Motto der Besetzung im Dannenröder Wald (dem „Danni“), dem ‚Hambi der Mobilitätswende‘. Aus dem Danni ist 2020 auch das Bündnis „Wald statt Asphalt“ hervorgegangen, in dem sich unter anderem Aktive aus neuen Waldbesetzungen vernetzen: wald-statt-asphalt.net

IAA-Proteste:

Gegen die internationale Automobilausstellung (IAA) und die zunehmend grün gewaschene Selbstdarstellung der Autoindustrie gab es 2019 in Frankfurt erstmals große Proteste, die 2021 in München wiederholt werden. Dabei reicht das Spektrum von Großdemonstrationen und Fahrradsternfahrten, organisiert von den Umweltverbänden (iaa-demo.de) über zivilen Ungehorsam, wie ihn das Bündnis „Sand im Getriebe“ organisiert (sand-im-getriebe.mobi) bis zur lokalen Organisierung, wie z.B. im Bündnis #noIAA (noiaa.de)

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Straßenbauprojekte (Bundesstraßen- und Autobahnprojekte)

Im PDF-Format zum Download gibt es hier ein Überblick über die in der Karte dargestellte Auswahl an Autobahn- und Bundesstraßen-Bauprojekten.

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Quellen und weiterführende Links

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